Consumed (2013)


Nanoskop (XL)

Der Übergang von Kunst zu Kommerz befindet sich dort, wo der Produzent sein Publikum schon bei der Produktion mit einkalkuliert. / Unerbittlich. / „Du solltest echt aufpassen, dass Du nicht Kulturpessimist wirst.“ – „Bin ich doch schon längst.“ – „Ach so. Dann alles tadellos!“ / Schwimmbadwetter; Hochglanzangst. / Die Vergangenheit zu vermissen ist inzwischen derart Mainstream, dass ich es eigentlich langsam mal ablehnen sollte. / „Wer ein Theremin besitzt, der kann kein schlechter Mensch sein.“ / Hurtig, knorke, kommod. / Textagram: Zwei mutwillig zerstörte Polaroids liegen neben einem Aschenbecher voller Mandarinenschalen und halbgerauchter Zigaretten. / Post-Hedonismus: Die Suche nach Glück ist nur was für Anfänger. / „Ich würde echt gerne zwei Klassen überspringen.“ – „Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass sie schon seit zehn Jahren nicht mehr auf der Schule sind.“ / Pro-Tipp: Probleme in Alkohol einlegen. Dann halten sie echt lange. / Grüner Zweig auf dünnem Eis.


Restedenken (II)

Schlafen, nur damit der Tag vorbei geht. Ich brüte etwas aus und ausbrüten kann man nur Leben. Ich habe kein Bedürfnis mehr nach dem leeren Äther, der Bühne, nach Kommunikation ohne Feedback, nach Digitalität, ich suche genau das Gegenteil, aber es ist hier nicht zu finden und weiß nicht, ob ich mit ‘hier’ das Netz oder Hamburg meine oder beides. Über einen längeren Zeitraum nichts zu schreiben war nie eine Option, aber vielleicht könnte es eine werden. Wer nicht schreibt, der ist tot.

Der Schweiß tropft fast von den Wänden, das Gedränge wird immer dichter. Das hässliche Insekt zieht sich in eine Nische im Fensterrahmen zurück. Das Insekt stirbt, wenn ich es hier nicht raushole. Meine Station kommt gleich. Ich ziehe eine Visitenkarte aus der Tasche, scheuche das Insekt damit aus seinem Spalt, es wehrt sich, es will sterben, aber Sterben gibt es heute nicht im Programm. Ich fange es auf, als es sich fallen lässt, um der Belästigung durch mich zu entkommen und schließe schnell, aber vorsichtig die Hand. Ich verpasse meine Station. Die Menschen, die mich bei der Aktion beobachten, blicken mich angewidert an, als wäre ich ein Aussätziger. Ich trage das Tier raus an die Luft und als ich die Hand öffne, kriecht es meinen Ringfinger bis zur Spitze hinauf und fliegt dann davon. Auf dem langen Weg, den ich wegen der falschen Station laufen muss, fühle mich bei jedem Schritt wie ein Held.

Kommt der Sommer, bin ich allein. Wird wieder Winter, bin ich wieder allein. Ab und zu bekomme ich Besuch, oft von weit her, manchmal schlafe ich mit meinem Besuch, manchmal unternehmen wir einfach nur Dinge. Ich stelle es dann so dar, als wäre ich nicht dauernd allein, karre meine mir im Grunde fremden Bekanntschaften auf goldenen Wägen an und jeder Besuch ist beeindruckt von dem Leben, das ich hier führe. Dann fährt der Besuch wieder weg und ich bin wieder allein. Ab und zu finde ich Menschen, manchmal habe ich Affären mit einzelnen Menschen, manchmal Affären mit Menschen als Gruppen, machmal eine Art von Freundschaft, aber das geht wieder weg, weil ich zu viel arbeite und zu schnell zu viel will. Vielleicht ist das der Kern des Lebens, das ich führe, seitdem ich weggegangen bin, weil ich mehr wollte als nur ein Leben in einem winzigen Dorf im tiefsten Bayern: Aushalten, dass ich allein bin. Mit Dir war es nicht so. Mir fehlt die Metaphysik des Alltags, deren Anwesenheit ich permanent an den Orten spürte, an denen wir zusammen waren und seither nicht wieder.

„Du denkst in so bizarren Kategorien wie Extra- und Intraversion (und wunderst Dich dann, warum Du nicht herausfindest, welches von beiden Du bist), aber lässt nie Deine Persönlichkeit einfach fliessen. Zweifle alles an, aber fang nie bei Dir selbst damit an. Kannst Du kurz mal mein Gesicht halten? Ich möchte anonym wirken.“

Auf der Vernissage kommt B. zu mir und umarmt mich, dann steht sie völlig deplatziert neben mir. Ihre Fotos sind mit einem iPhone gemacht, aber besser als der meiste Hochglanzscheiß, der hier sonst noch so rumhängt. Der Koch und die Töpfe.

„Wieder nur Stücke, als würde ich kotzen.“

Das Konsumlevel ist höher als das Produktionslevel. Vermutlich bin ich immer unglücklich, wenn das geschieht. Wenn ich mich nicht fokussieren kann, wenn ich Unmengen an Texten, Bildern, bewegten Bildern in mich hineinschlinge, ohne selbst im notwendigen Maße einen Output zu schaffen. Dinge geraten dann in Schieflage, die innere Balance ist nicht mehr hergestellt. Wer nicht schreibt, der ist tot.


Branches & Ghosts (2013)


Nanoskop (XXXIX)

„Leg Dich neben den toten Fuchs und umarme ihn.“ / Ein Anti-Märchen, quasi. Brutal wahr, dafür hier und jetzt. / Leider macht jeder Mensch den Fehler, zu denken, dass ihn alle anderen Menschen mit seinen eigenen Augen sehen. / Auf Wundrand gepeitscht, mit bunten Schleifchen im Hirn. / „Sei bloß kein Frosch!“ (Die alte Witwe Fliege) / Auf dem halben Weg der Verwandlung zur Schreibmaschine stehengeblieben – Tasten auf dem Rücken, Papiereinzug schmerzt etc. pp. / Man stirbt in dem Moment, in dem man aufhört, sich für neue Dinge zu begeistern. / Nahtlos nach anderswo. / Sapperlot! Leck mich fett! / Konstruktive Kritik: „Du hast so viele Bretter vor dem Hirn, das reicht locker für ein richtig gutes Baumhaus!“ / „Ich bin kein doch kein kleines Kind mehr!“ – „Ja. Aber ich. Was jetzt?“ / Lisbeth Meier-Meyer und der geheimnisumwitterte Schotte.


Überleitung.

Ein Regentropfen fällt mir direkt unter dem linke Auge auf das Gesicht und läuft anschließend die (ebenfalls zu der Begriffseinheit „Gesicht” zählende, aber hier aufgrund der folgenden, naheliegenden Assoziation explizit so genannte) Wange hinab. Ich bin irritiert davon, wie sich das anfühlt und bleibe kurz in einem Hauseingang stehen.

„Ich habe schon lange nicht mehr geweint”, denke ich.

„Dafür schreibst Du in letzter Zeit eine Menge”, sagt ein anderer Teil von mir.

„Gute Theorie. Wenn es doch stimmt, was die Westentaschenpsychologie sagt, nämlich, dass man Gefühle einfach nur rauslassen muss, damit alles gut wird, dann ist das Schreiben vermutlich genau das, was das Weinen ersetzt.”

„Schreiben ist quasi Weinen auf Papier”, sagt der dritte Teil von mir, derjenige, der gerne alles auf knackige Aphorismen und Punchlines runterbrechen will.

Ein kurzes Schweigen, dann lachen drei Stimmen in meinem Kopf, beschließen, dass das sehr kitschiger Müll ist und wir laufen weiter durch den Regen in Richtung der Tankstelle, Tabak kaufen.


Stimmen (2013)

stimmen-raventhird.de


Kaskade 8-3

Ich habe mich Dir bedingungslos ausgeliefert, das macht man in einer aufgeklärten Zeit wie der, in die wir aus den primären Geschlechtsteilen unserer Mütter reingeflutscht sind, schon längst nicht mehr. Gib mir Geiselnahmen (Pest!), gib mir mein Stockholm Syndrom. Ein wildes Gefühl schlägt über die Stränge und alles, was Du bisher erlebt hast, um Längen. Ich will auf keinen Fall untertreiben. Irgendetwas dreht sich, dann die Erkenntnis: Das bin ja ich, nein, die Welt um mich herum, eine Frage der Perspektive; dann wieder äußerlich ausgeglichen in einem Zug Stunde um Stunde stillsitzen und Städte vorbeiziehen sehen, mit deren Namen man nur Verderben und Fäulnis zu assoziieren schafft, obwohl man nie dort war. Es ist nach Deiner Entschwindung jetzt wieder so ruhig zu Hause. Diese beunruhigende Mischung aus Blut, Staub und Federn liegt immer noch in der Luft meines Lebens, man (ich) kann maximal schemenhaft Dinge erahnen und ist an den meisten Tagen auch froh darüber. Viel zu ruhig; ich will zurück zu den Tieren. Ich habe starke nostalgische Gefühle für die Momente in der Erinnerung entwickelt, in denen es adrenalinbedingt keinerlei Zeitempfinden gab, wie damals, als man vom Fenster aus jederzeit Schiffen winken konnte (es war immer Viertel nach Vier).


Nanoskop (XXXVIII)

Komplette Beziehung in acht Worten: „Du ziehst mich an – aus – nur noch runter.“ / Fortlaufende Verankerung. / „Was auf den Plattenteller kommt, das wird gehört.“ / Gegenstände, die mit dem Ende der Schulzeit ihre Daseinsberechtigung komplett verlieren: Tintenkiller, Geodreieck, Zirkel. / Wenn Du und ich vorkommen, dann ist es ein Monolog. / Trommeln, Zweige: Niederpolternd. / „Wenn es nach mir geht, dann wird Dein Platz an der Sonne demnächst frei!“ / Selbstbildnis als mein eigener Restlichtverstärker. / „Du bist so weltfremd.“ – „Du sagst das so, als wäre es kein Kompliment.“ / „Jon Bon Jovi würd ich gern mal eine kleben.” / Wer im Glashaus sitzt, der hat zuallererst den Salat. / Wenn Du die Welt ändern willst: Setzt Du bei Dir oder bei den Anderen an? / Harte linke Haken aus Text. / Der moderne Vampir lutscht vor dem Zähneputzen noch ne halbe Stunde auf Kupfermünzen rum, um seinen Blutdurst zu unterdrücken.


The Rain & My Mum (2013)


Tonfolge.

Wie diese rasend schnelle, abstrakte Musik in mich reinfließt und dort verarbeitet wird, als wäre es die Primärfunktion meiner Gehörgänge, eine Art trichterförmiger Eingang zu einem tonfolgenabsorbierenden, dauergierigen Behältnis zu sein, das nach immer mehr verlangt. Musik ist nicht wie andere Medien, man ist nicht satt, wenn man einem Song gehört hat, wie es bei einem Film oder Theaterstück der Fall ist, man will es direkt nochmal erleben und von richtig guter Musik wird man nie satt. Das Bedürfnis nach der Musik lässt nicht nach, wenn man sie gehört hat, sondern es wird stärker. Man wird hungrig. Ich habe nie verstanden, wie irgendjemand zum „Abschalten“ Musik konsumieren kann, für mich ist es mit höllischer Konzentration verbunden, weswegen ich es oft nur in meiner eigenen Gesellschaft und über Kopfhörer richtig gut kann. Ich trenne die einzelnen Instrumente voneinander, löse die Spuren auf, sortiere sie nach verschiedenen Kriterien, versuche, ihre individuellen Strukturen zu erkennen, setze sie dann in Kontext zueinander und baue so das Stück wieder zusammen und ich bin selten in der Lage, nebenher etwas Anderes zu tun. Der ideale Song für diese Herangehensweise ist etwa 8-10 Minuten lang und arbeitet nicht mit den üblichen Verse-Chorus-Verse-Schemata etwa der Musik, die im Radio gespielt wird, sondern eher mit nicht auf den ersten Blick erkennbaren, wiederkehrenden Themata oder sich ähnelnden Passagen. Das erklärt wahrscheinlich, warum ich beim ernsthaften Musikhören neben klassischer Musik, die verdammt gerne mag, auch wenn ich mir manchmal nicht sicher bin, ob ich sie wirklich durchschaue und Avantgarde-Kram aus den verschiedensten Genres, bei dem ich mir meist sicher bin, dass ich ihn durchschaue, vor allem stark gitarren- und strukturlastige Musik aus den verschiedensten und absurdesten Spielarten von Rock und Metal bevorzuge, die Namen wie „Shoegaze Black Metal“, „Mathcore“ oder „Drone Doom“ tragen und deren Musiker meist irgendwelche langhaarigen Leute aus kleinen Dörfern in den finstersten Wäldern von Skandinavien sind, die in ihrem Leben nie einen anderen Sinn gefunden haben, als irre schnell Gitarre zu spielen und fünfzehnminütige Kompositionen mit gurgelnder Gutturalakrobatik, die man auf keinen Fall mit Gesang verwechseln oder vergleichen sollte (denn dann kommt man zu dem Fehlschluss: „Der singt ja wie das Krümelmonster“, der etwa so dumm ist wie die Aussage „Das kann mein Sohn auch malen“ über moderne Malerei), und ebensoschnellen und präzisen Beiträgen ihrer Mitmusiker um diese Fähigkeit zu stricken.


Nanoskop (XXXVII)

Selbstbildnis als Prophet, der stoisch darauf wartet, dass eines Tages der Berg an seiner Haustür läutet. / Narben im Kopf, die sich in Denkprozesse einmischen. / Das letzte Tabu in einer komplett narzisstischen Gesellschaft: Wenn man sich selbst als Person total scheißegal ist. / Niemals an die Zukunft anbiedern. / Hast Du auch Menschen aus der Vergangenheit, die man nicht googlen kann, aber Du versuchst es trotzdem immer wieder? / Kompromiss-Interpunktion. / „Man wird echt schnell zum Außenseiter, wenn man sich nicht so benimmt, als wäre man gehirnamputiert.“ / Perlen nach Athen, Eulen vor die Säue. / „Keine Sorge, der Bursche hat ‘ne Leber wie Prometheus.“ (Sätze, die man in Asi-Kneipen selten hört.) / Und irgendwann investierst Du Unmengen von Zeit in die Reduktion selbstverschuldeter Komplexität. / „Benutze Literatur mit Tellerrand.“ / Selbstbildnis als Berg, der etwa alle siebzig Jahre einen neuen Propheten kommen und gehen sieht.


Анастасия II (2012)

anastasia II - raventhird.de

Model: Anastasia