Auf dem Dachboden mit den Sternen

„Zum letzten Mal bist Du alles, was ich will und alles, nach dem ich freiwillig fragen würde. Ich schließe diese Gedanken heute Nacht in einen Schrank, in dem sie nur derjenige finden wird, der dazu in der Lage ist, ihrer Spur ganz gezielt zu folgen. Ich studiere weiterhin ungeborene Kinder und ihre Namen auf Magister. Nichts davon überrascht mich, aber das hält mich nicht davon ab, dem Schmerz weiterhin meine Seele in Schlagrichtung vor die Nase zu halten, als hätte ich nie gelernt, wie man den Schutzschild rauffährt. Ich schreibe, also muss ich frontal gegen Wände fahren. Es ist die wichtigste Droge meines Lebens, die einzige, gegen die ich nicht resistent geworden bin.“


Ping-Pong-Echo.

„Ich darf es nicht in Kommunikation gießen, Kommunikation ist bei mir eine Suchtart“, denkt sie und in dem Moment erfasst die Schwerkraft ihre Pupillen und das Drumherum nicht mehr, so dass je zwei gemischte Paare Iris und Pupille in zwei Augäpfeln an die tiefste Stelle kullern und jetzt durch den transparenten Gaumen auf den Belag ihrer Zunge glotzen, den Schlund sehen sie nicht, denn um um die Ecke zu gucken bräuchte es mindestens ein bisschen Kontrolle über die Blickrichtung. „Ah. Endlich etwas Ruhe“, denkt sie. Die Schlacht ist gewonnen, aber jeder Krieg, der etwas auf sich hält, hat bekanntlich mindestens zwei davon. Und dann ruft sie direkt jemanden an, um ihm davon zu erzählen.

„Spar Dir die Erlebnisberichte“, sagt die Stimme am anderen Ende der Leitung.


Wildfang (2012)

wildfang - raventhird.de

Model: Larissa

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Herbstskizze

„Was gibts?“, frage ich.

„Ach, eigentlich nichts. Bist du zu Hause?“

Ich überlege, ob ich lügen soll. „Ja“, antworte ich wahrheitsgemäß. Eventuell hätte sie es sonst auf meinem richtigen Telefon probiert und ich hätte den ganzen Tag nicht rangehen können, ohne mich zu verraten. Nicht, dass ich normalerweise ans Telefon gehen würde. Ich habe, wenn es um meine private Einsiedelei geht, keine Probleme damit, zu lügen. Bei einer Lüge ertappt zu werden ist dann schon wieder etwas anderes.

„Könntest du mich vielleicht um halb vier am Bahnhof abholen, wenn ich ganz unverschämt fragen darf?“

Die direkte Tour. Guter Trick. Es hilft bei solchen Fragen, wenn man die zugehörige Selbsteinschätzung gleich mitliefert. Zumindest bei mir.

Was soll ich darauf antworten? Mir schnell eine Ausrede einfallen lassen? Zu anstrengend, ich bin grade aufgewacht, habe die halbe Nacht gesoffen und an einem Stück Scheiße geschrieben, das niemals ein Roman werden wird. Ein Fragment, sozusagen. Irgendwie schreibe ich nur Fragmente.

„Klar. Ich bin da“, antworte ich in einem Ton, der darauf hinweisen soll, dass es mich stört, wenn man mir die Bedingungen diktiert, nach denen ich meine nie vorhandene Zeit zu verbringen habe.

Auf Bahnhöfen auf jemanden zu warten ist eigentlich ein richtig tolles Konzept dieser merkwürdigen Realität. Noch dazu, wenn es Herbst ist. Vielleicht fällt mir deswegen keine Lüge ein. In meiner Phantasie haben die Züge nur wegen der Leute Verspätung, die gerne im Herbst auf Bahnhöfen warten. Vielleicht sind das in Wirklichkeit mehr als man glaubt.

„Super, danke“, sagt sie.

„Kein Problem“, sage ich.

Es ist fast halb drei. Ich fahre besser gleich los. Vielleicht weiß der Zugführer gar nichts von diesen Leuten. Vielleicht ist er neu im Geschäft.


Nanoskop (XXIII)

Selbstbildnis als nicht eingelöster Treuepunkt. / „Ich gehe nur deswegen mitten in der Nacht auf die Strasse, um anderen Katzen zu begegnen.“ / In der falschen Zeit geboren. Problem: Das Jahrzehnt, in dem ich gerne gelebt hätte, gab es leider nie. / Eben mit McLuhan telephoniert. Soll euch ausrichten: Ihr habt alles falsch verstanden. / Selbstbildnis als jemand, der zwei Therapien gleichzeitig macht und in der einen jeweils von der anderen erzählt. / Verdacht: Mutter Natur betrügt Vater Staat mit dem Mann im Mond. / Der verstörende Aspekt an Buchhandlungen: Wie viele Menschen es gibt, die ihr Leben damit verbringen, schlechte Romane zu schreiben. / „Tanz mit mir.“ – „Es spielt keine Musik.“ – „Das ist egal, wir machen sie selbst.“ / Im Internet merkt niemand, dass Du für guten Geschmack kämpfst. / „Ich ziehe meine Leere daraus.“


Les Belles Lettres (2012)

belles - raventhird.de

Model: Fanny

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Traumsequenzen (X)

Neuartige Turngeräte aus lebenden Giraffen. Ich nehme zwei davon mit und benutze sie in der U-Bahnstation, vor mir ein Hut, um Geld für die Weiterentwicklung des Konzepts zu sammeln. Ich arbeite für eine Firma, die derartige Dinge herstellt. Niemand schenkt dem Treiben irgendeine Beachtung, der Trick hat sich schon abgenutzt. Die Tiere müssen sich bücken, damit hier reinpassen und die Rolltreppe ist jedesmal das größte Hindernis.

Später: Ich werde damit beauftragt, ein neues Grab für Salvador Dalí zu entwerfen. Meine Idee ist eine von Pflanzen überwucherte, schwere Holztür in einem ebensolchen Rahmen, die einfach so in der Gegend steht. Die Tür hat ein Klingelschild mit goldenen Knöpfen, statt Namen stehen dort die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder des Toten. Über dem Klingelschild ist eine Gegensprechanlage angebracht.

Eine alte Bekannte nimmt meine Hand und legt sie zwischen ihre Beine. „Mach Dich mal nützlich, statt immer nur dieses merkwürdige Zeug“, sagt sie.

Ich irre durch die Stadt und versuche, zur richtigen U-Bahnstation zu gelangen. Es gelingt mir nicht, ich kann die Karten plötzlich wieder genauso schlecht lesen wie in meinen ersten Wochen in der Großstadt, in der ich Menschenangst als Grund dafür vorgeschoben habe, dass ich niemals mit der Bahn fuhr. Ich weiß nicht warum, aber ich habe plötzlich Blut an der Unterlippe und dann fallen alle meine Zähne in meinen Mund. Ich spucke sie in meine Handfläche und starre den blutigen Haufen an. „Ha, da kann sich die Krankenkasse aber nicht wieder rausreden, dieses Mal müssen sie zahlen“, denke ich und lächle zahnlos.


Nanoskop (XXII)

Mein Gehirn ist meine heterogenste Zone. / Die drei !!! und das Mysterium 11einself. / Quotenumlaute in der Rockmusik (zb. Motörhead, Mötley Crüe, Drä Chänäsän mät däm Känträbäss). / „Nein Danke, ich höre nur gute Musik.“ / Stichwort: Schnittmenge. / Hohe Wahrscheinlichkeit, dass ich es mag: „Nur Krach!“ (Musik) „Kann mein Sohn auch malen!“ (Kunst) „Das hat ja gar keine Handlung!“ (Literatur) / Es wäre mir sehr wichtig, dass Du etwas mehr auf Deine innere Erscheinung achtest. / Lasse für meine Mitmenschen oft und gerne Dinge übrig, zb. „zu wünschen“. / Herr Struktur erkennt das Muster: Fräulein Diskrepanz findet immer wieder Unterschiede. / Gäbe es Menschen, die so sind wie ich bin, dann wäre ich wohl nicht so, wie ich bin. / Meine Lieblingsbücher: Außen aus schwarzem Leder, innen dezent liniert. / Achtlose Trippelschritte Richtung Einfalt.


Formula (2012)

formula - raventhird.de

Model: K.

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Kaskade 5-6

Es war nicht so wie in meiner Vorstellung. In meiner Vorstellung sind diese Dinge viel größer. Das ist ein Grund dafür, warum ich dort so viel Zeit verbringe. Sie sucht ein Kajak für Berlin, hat sie gesagt, auf der Spree paddeln, natürlich. Anderswo giften sich fremde Menschen gegenseitig in Texten an, die ewige Droge heißt Zynismus, weil man unbedingt dabeisein muss, Präsenz zeigen, sehen und gesehen werden, aber bloß nicht zugeben, dass es einem doch heimlich Spaß macht oder dass man es grundabstoßend findet, man will ja nicht so sein. Du hast nie gelernt, ehrlich zu sein. Du schwimmst nur in der Mitte, weil es dort den meisten Applaus zu holen gibt. Asoziale TV-Sendungen gucken und in Echtzeit darüber Spott in Netzwerke kippen gilt als en vouge. „Ich mach irgendwas mit Medien. Den ganzen Tag lang, weil ich kein Leben habe.“ Eigentlich bräuchte ich nur ein verdammtes Lagerfeuer, eine Blockhütte im Wald und eine handvoll Menschen als Geiseln. In diesem avantgardistischen Schwarzweißfilm, der so wirkt, als wäre er mit dem Kameramodul eines alten Game Boys gedreht worden, zieht sich jemand die Haut vom Gesicht und lacht dabei. Nach einer Woche in Schweden wäre das Stockholm Syndrom abgeklungen, das nicht von der Entführungssituation verursacht wurde, sondern von dem Zustand im Jetzt. Vom äußerlichen Anschein her liebenswert, in der Realität eine Bestie. Gibt es jemanden, vor den Du Dich stellen und ohne auch nur ansatzweise mit dem Gehirn zu zucken „Ich liebe Dich“ sagen könntest? Nein, wir reden hier nicht vom Verliebtsein und den Schmetterlingen, sondern von der echten Nummer, die nicht erst wächst, wenn man sich irgendwann so arrangiert hat, dass man sich gegenseitig grade so ertragen kann, sondern die einfach ist, die nichts fordert und wie das natürlichste Ding auf der Welt einfach bestehen bleibt, egal, was der andere tut. Gibt es so jemanden? Wenn ja, dann schätze Dich glücklich, egal, was er oder sie antworten würde. Du hast noch etwas von dem in Dir, das ich suche.


Nanoskop (XXI)

Die Rückgratlosigkeit ist eine der entscheidendsten Voraussetzungen für den Erfolg beim Bullshit-Limbo. / Abwarten und Wattwandern. / Der Graf und die sieben Bürgen. Eine tödliche Romanze. / Hirnschmalzbrotschneidemaschine. / Im Prinzip ist es egal, ob die Plattform Schlagerparty in der Dorfdisco oder Internet heißt, ihr bleibt immer Rudeltiere. / Ich krieg so wenig Schlaf, dass ich das Träumen tagsüber erledigen muss. / Selbstbildnis als unlesbares Manuskript aus dem Nachlass von Jane Doe. / „Ich kann auch ohne Menschen unglücklich sein!“ / Der Satz „Die Akteure sind der springende Punkt“ gilt ausschließlich beim Flohzirkus. / Ich will das mit Dir teilen, was ich alleine gar nicht habe. / Wir kamen überpunktlich beim Yoga an. Ich nahm die Beine in die Hand. / Beziehungsstatus: Texte, die nicht von Rainer Maria Rilke verfasst wurden, braucht eigentlich niemand. / Ungeschriebenes Gesetz:


The Void (2012)

void - raventhird.de

Model: Iris.

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Eins: Hier.

Wenn ich zurückblicke auf die merkwürdige Kette von Menschen, die in den verschiedenen Leben, die ich bisher leben durfte, durch meine Tage gerauscht sind, ohne nennenswerte Eindrücke oder größere Dellen an meiner Persönlichkeit zu hinterlassen, dann verstehe ich eigentlich noch weniger, was eigentlich an dieser Frau anders war. Ja, sie war wunderschön, kompliziert und nicht ganz richtig im Kopf, aber das waren viele, die ich in mein Leben und nach einiger Zeit wieder verschwinden habe lassen. Ich habe sie alle immer relativ schnell ersetzt durch neue Gesichter, die ganze Nummer war eher ein Spiel für mich, denn Menschen waren aus meiner Perspektive grundsätzlich sehr einfach gestrickte Geschöpfe, niemals etwas, das es zu bewahren galt. Sie machen langweilige Dinge, leben ihre langweiligen Leben, sammeln virtuelle Dinge wie Reputation, „Spaß“ und Erlebnisse, materielle Dinge wie Wohnungseinrichtungen und Wertgegenstände, und irgendwo dazwischen sammeln sie, genau wie ich selbst es tat, auch andere Menschen, idealerweise solche, die in beide Kategorien fallen, also sowohl bei der Vorführung vor Verwandten und Freunden Neid hervorrufen, wie ein paar neue, teuere Schuhe, als auch möglichst viele Erlebnisse versprechen und eigenes Wohlbefinden durch entsprechendes Begehren oder gefühlte Übereinstimmung von Ansichten stimulieren. So weit, so belanglos.

Ich kann heute nicht mehr mit Bestimmtheit sagen, was damals passiert ist, als ich sie traf, was sich im Laufe der dann folgenden Zeit geändert hat, natürlich habe ich meine Theorien dazu, was ich aber mit Bestimmtheit weiß, ist, dass sie irgendetwas sehr Altes mir kaputtgeschlagen hat mit ihren Worten und Taten, dass wir es dann zusammen gänzlich kleinhackten mit der Art und Weise, wie wir interagierten, etwas, das danach nicht mehr aufzukehren und zusammenzusetzen war, auch wenn ich das sehr oft versucht und mir an den Scherben immer wieder blutige Hände geholt habe. Vermutlich nennt man das, was mir mit diesem Menschen widerfahren ist, Liebe – und obwohl ich das Wort vorher schon oft benutzt und das Gefühl zu kennen geglaubt habe, merke ich erst jetzt, was es eigentlich bedeutet, einen Menschen mit jeder Faser meines Körpers zu lieben. Und das bedeutet bei Weitem nicht nur etwas Gutes. Es bedeutet auch, dass man akzeptieren muss, dass dieses Gefühl nie wieder verschwinden wird, so grotesk widerwärtig der andere einen in einer möglichen Zukunft auch behandeln mag. Menschen sind, obwohl wir am Ende alle das Schicksal teilen, irgendwo unter der Erde rumzuliegen und uns unter tatkräftiger Mithilfe von diversem Getier selbiger anzugleichen, Zeit ihres Lebens von sich selbst besessene Monstren, machen wir uns nichts vor, aber Liebe ist der Moment, in dem man es einem Einzelnen von ihnen verzeihen kann. Sie ist vielleicht eines der wenigen Dinge, die einem nie mehr weggenommen werden können, weil sie ganz tief im Selbst heranwächst, absolut unausrottbar und vermutlich so lange vorhanden, bis man irgendwo in einem Altersheim, sich selbst in die Windeln scheißend, das Gesicht der Person, für die man so fühlt, langsam vergisst. Vielleicht aber vergisst man diese Emotion nicht mal dann. Man muss dankbar dafür sein, sie erleben zu dürfen. Sie ist vermutlich selten.