Bei der bewussten und gezielten Verwandlung in einen Baum kann so einiges schiefgehen, also sollten Sie sich besser genau darauf vorbereiten, falls Sie einen solchen Schritt ernsthaft in Erwägung ziehen. Ganz abgesehen davon, dass die Umwandlungsprozedur an sich ziemlich schmerzhaft sein kann, sind dabei außerdem folgende Dinge unbedingt zu bedenken:
1.) Die Wahl des Standortes.
Nichts ist bei einer Baumwerdung wichtiger als die Wahl des richtigen Standortes, schließlich werden Sie an eben jenem Standort den Rest ihres Lebens verbringen, was sich ganz von selbst erklärt. Nehmen Sie sich also unbedingt eine möglichst große Menge Zeit, bevor Sie sich für den definitiven Ort entscheiden und versuchen Sie bei der Auswahl wie ein Baum zu denken. Reisen Sie. Gucken Sie sich Wälder und Bäume in vielen verschiedenen Ländern an, finden Sie am besten ein Gewässer, das gibt eine schöne Soundkulisse. Ob es fließend ist, sollten Sie von ihren persönlichen Vorlieben abhängig machen. Außerdem dringend zu empfehlen ist eine leicht erhöhte Position. Sie werden durchschnittlich etwa 15 Jahre damit verbringen, zu Ihrer vollen Größe heranzuwachsen, also stellen Sie sich nicht direkt zwischen zu viele zukünftige Artgenossen, sonst verbringen Sie diese Zeit zum Großteil damit, den Wald vor lauter Bäumen usf., Sie verstehen schon, was ich sagen will. Zu weit entfernt von anderen Bäumen wiederum sollten Sie sich aber auch nicht ansiedeln, denn auch wenn Sie nach der Verwandlung nicht mehr kommunizieren können, wird es Ihnen doch gut tun, ein paar Exemplare Ihrer Art in Sichtweite zu haben, falls Sie kein radikaler Dentrotroph werden. Entscheiden Sie aber auf keinen Fall nach Dauer der Sonneneinstrahlung oder ähnlichen menschlichen Denkkategorien. Als Baum ist es Ihnen später relativ scheißegal, ob Sie in Sibirien oder in der Wüste stehen, Ihre Jahreszeiten und Zyklen erleben Sie überall (dazu später mehr). In der unmittelbaren Nähe von Menschen oder Städten möchten Sie sich außerdem auf keinen Fall ansiedeln, aber das wird Ihnen Ihr Bauchgefühl beim ersten Nachdenken über die ganze Geschichte auch schon mitgeteilt haben.
2.) Die Entscheidung zwischen Laubabwerfend und Immergrün.
Die Wahl zwischen den beiden Varianten ist fast so schwer wie die Wahl des Plätzchens, an dem Sie sich niederlassen werden. Gehen Sie also ganz sicher, was ihren Vorlieben am besten entspricht, wenn Sie diese Entscheidung treffen und denken Sie sie in allen Einzelheiten mehrfach und gründlich durch. Machen Sie eine Liste über die Vor- und Nachteile. Wollen Sie tatsächlich in jedem Jahr eine Metamorphose miterleben, bei der Ihre Blätter zunächst verschiedene Farbstadien durchlaufen und Ihnen dann vom Leib fallen? Oder ist Ihnen das deutlich zu viel Hektik und Trubel und Sie bleiben lieber bei ihrem Gewand und tauschen es ganz in Ruhe nach und nach aus? Es ist kniffliger als es klingt. Wenn Sie ein sehr gestresster Mensch sind, der auch aus dem Grunde zum Baum werden will, dass er endlich mal zur Ruhe kommen kann, dann werden Sie sich vermutlich eher die Nadeln überstreifen und diesen Zirkus nicht mitmachen (vergessen Sie dabei auch nicht die veränderte Zeitwahrnehmung: bei uns Bäumen vergeht ein Jahr recht fix). Andererseits könnte es auch sein, dass Sie diese Entscheidung in ein paar Jahrzehnten zutiefst bereuen werden und sich dann endlich wieder etwas Abwechslung in Ihrer äußeren Erscheinung herbeisehnen. Ich verrate Ihnen noch ein kleines Geheimnis: Im Grunde hadert jeder baumgewordene Mensch irgendwann mit seiner Entscheidung in dieser Frage, fragt sich sehr ausführlich und ernsthaft, wie es wohl wäre, die andere Variante gewählt zu haben und findet meist nach länger oder kürzeren Identitätskrisen doch zu sich. Dennoch sollten Sie die Sache auf gar keinen Fall auf die leichte Schulter nehmen, das wäre wirklich sehr unklug und eines Baumes nicht würdig.
3.) Die Wahl der richtigen Art.
Weniger wichtig als die Entscheidung zwischen Laufabwerfend und Immergrün, aber dennoch nicht unerheblich, natürlich auch in Kombination mit der Standortfrage, ist die schlussendliche Auswahl der Baumart, die Sie gerne sein wollen. Vielleicht denken Sie jetzt spontan an exotische Vertreter wie Palme, Ginko, Mammutbaum oder etwas noch viel Seltsameres. Aber vergessen Sie bitte nicht: Ein Außenseiter waren Sie vermutlich schon im echten Leben, es war doch einer der Gründe, warum Sie sich erst für diese ganze Baum-Nummer entschieden haben. Viel solider sind Fichten, Eichen, Kiefern und Buchen. Falls Sie einen Hang zur Melancholie haben und diesen weiterpflegen wollen, dann würde ich ihnen außerdem ans Herz legen, sich Weiden genauer anzugucken. Wenn es am Ende doch eine Nummer extravaganter sein muss, dann kann ich außerdem nur zum Olivenbaum raten, dann können Sie einerseits knorrig und massiv werden, andererseits Ihre Äste aber auch in absurd-schiefwinkligen Haltungen wachsen lassen, das ist verdammt cool. Sie werden als Olive soetwas wie der Dandy unter den Bäumen sein. Wirklich wichtig: Werden sie kein Kautschuk. Alles, nur nicht Kautschuk. Es mag aus jetziger Perspektive reizvoll klingen, dass Sie sehr viel Kontakt mit Menschen haben könnten, aber wenn Sie erstmal ein Baum sind, dann gibt es wenig, was schlimmer ist, als ein paar halbwilde Fremde, die dauernd an Ihnen herumschnippeln und Eimer an Sie hängen, um die austretenden Säfte aufzufangen. Vertrauen Sie mir: Wenn sie unbedingt Action haben wollen, dann werden Sie eine Kastanie. Es macht Spaß, diese dicken Früchte fallenzulassen. Dass Sie kein afrikanischer Baum in Dänemark werden wollen, sollte außerdem klar sein. Wer derart dumm an die Sache herangeht, hat es aber auch nicht anders verdient, als direkt einzugehen.
4.) Die Vorbereitungen auf die Verwandlung.
Es ist nicht ganz einfach, das direkte Umfeld in die Entscheidung zur Baumwerdung einzuweihen, das war es bei keinem von uns. Ihre Freunde, Verwandten und eventuell vorhandenen Partner werden Sie zunächst für völlig verrückt erklären. Eventuell werden sie sogar versuchen, Sie in eine Heilanstalt einweisen zu lassen. Falls diese Gefahr bestehen sollte, dann überlegen Sie bitte, ob Sie zum Zeitpunkt der Umwandlung nicht lieber einen plötzlichen Tod vortäuschen wollen. Das bringt natürlich Nachteile mit sich. Sie können den Angehörigen in dem Falle nicht mitteilen, wo Sie sich in Zukunft aufhalten werden. Auch wenn Ihnen als Baum beim Wachsen der Jahresringe die Menschen allmählich völlig fremd und schließlich ganz gleichgültig werden und Ihre Erinnerungen an ihre Zeit als einer von ihnen auch nach und nach verschwinden, so tut es doch gerade am Anfang gut, wenn ab und zu mal eines von den Fleischwesen vorbeikommt, sich an Ihren Stamm setzt und ein Buch liest oder ähnlich unnütze Dinge in Ihrer Nähe tut. Wenn Sie ihre Leute ernsthaft einweihen wollen und von der Sache überzeugen können, dann müssen Sie aber in jedem Fall sehr klare Regeln aufstellen. In der Rinde herumritzen ist absolut tabu, es kann scheußlich kitzeln, manchmal jahrelang. Umarmungen und generelle Anwesenheit sind dagegen völlig in Ordnung, aber das sollte nicht öfter als ein oder zweimal im Monat passieren. Es wird Ihnen als Baum deutlich öfter vorkommen, glauben Sie mir. Und es ist jedesmal unfassbar nervig, wenn Sie gerade kurz davor sind, einen Gedanken zu beenden, an dem Sie seit Wochen herumdenken und formulieren und dann plötzlich drei Zweibeiner um Sie herumhampeln. Wichtig ist außerdem, dass Sie ihren zukünftigen Besuchern klarmachen, dass Sie so gut wie kein Wort mehr von ihrem menschlichen Geplapper verstehen werden. Reden ist für Besucher also erlaubt, aber völlig zweckfrei.
5.) Die Wahl des richtigen Zeitpunkts.
Als erfahrener Baum könnte man natürlich behaupten, dass der Zeitpunkt der Umwandlung ziemlich egal ist, aber die Wahrheit ist: Das stimmt nur zum Teil und ist eine recht zynische Position. Natürlich werden Sie, wenn sie erst richtig ausgewachsen sind, mit viel Nostalgie und einem Rascheln in den Zweigen an das erste Jahr ihres Baumseins zurückdenken, egal, wie es verlaufen ist, aber während Sie es durchleben, kann es auch richtig überwältigend werden. Sie müssen sich erst umgewöhnen, die Dinge von Grund auf neu lernen und es macht dabei einen wesentlichen Unterschied, in welcher Jahreszeit Sie anfangen. Vom Herbst würde ich abraten, die anderen haben jeweils Vor- und Nachteile. Sommer ist ein toller Einstieg, weil man direkt in voller Blüte steht, Insekten, Bestäubung und der ganze Kram. Großartige Sache. Nur danach kommt dann eben auch das Erwachen. Den Winter direkt am Anfang überstehen kann verflucht hart werden, hat aber in der Folge einen umso positiveren Effekt. Sie lernen schnell die eher tristen Seiten Ihrer neuen Existenz kennen und haben dann umso mehr, auf das Sie sich freuen können. Frühling zu Beginn wird Sie ziemlich flashen und wenn dann noch der Sommer kommt, dann fühlen Sie sich absolut unbesiegbar. Das sollten Sie dann aber auch wirklich sein, denn der Abstieg ist wirklich krass. Mein Geheimtipp ist es, in der Mitte des Winters loszulegen. Dezember ist eine gute Zeit. Den Grund dafür können Sie sich aus dem, was ich gerade erzählt habe, selbst zusammenreimen. Was Sie in den ersten Jahren außerdem unbedingt im Hinterkopf behalten sollen: Wenn Sie das erst zehn Mal mitgemacht haben, dann wird es alles ziemlich einerlei. Dann zählt eher das Baumsein an sich und das hat ganz andere Aspekte als äußere Umstände. Also seien Sie am Anfang ruhig überwältigt, verängstigt oder begeistert, nehmen Sie das unbedingt mit, diese Gefühle verschwinden schneller als man sich neue Äste wachsen lassen kann.
Eine berechtigte Frage Ihrerseits ist an dieser Stelle natürlich, woher ich so viel über die Vor- und Nachteile weiß, die diese Dinge mit sich bringen. Vor allem ist es ziemlich unrealistisch, dass ich Sie über verschiedene Baumarten belehren kann, finden Sie nicht? Schließlich habe ich mich ja auch irgendwann für eine Art entschieden und kann gar nicht wissen, wie es im Detail ist, die anderen Arten zu sein. Nun: Ich hatte einerseits ziemlich viel Zeit, darüber nachzudenken, andererseits haben Sie sich ja auch gar nicht gefragt, wie ich denn als Baum in der Lage bin, einen Text zu produzieren, oder? Dieses Dinge bleiben ganz Ihnen überlassen, ich bin nicht hier, um Sie zu irgendetwas zu überreden oder mich zu rechtfertigen. Blasen Sie die Sache doch ab, wenn Sie mir nicht über den Stamm trauen. Bleiben Sie weiter ein Mensch. Leben Sie ihr Leben, in dem sie dauernd von A nach B hetzen und nie genug Zeit für irgendwas haben, zu Ende und lassen Sie sich irgendwo ein nettes Grab ausheben, dessen Ruhe zu genießen Sie aber leider nie die Gelegenheit bekommen werden. Nur kommen Sie dann auf dem Sterbebett nicht auf die Idee, sich zu beklagen, dass Sie doch kein Baum geworden sind.