In eigener Sache: Lampiongarten, Kwerfeldein, Ausstellungen

Ich habe mein Zweitblog “Der Lampiongarten” in den letzten Tagen mit einigen neuen Artikeln befüllt und werde das wohl in Zukunft wieder regelmäßiger tun. Der Kram, den ich dort veröffentliche (zum Beispiel dieser neue Artikel darüber, was ich mit Medien mache und was Medien mit mir machen) passt hier schlicht nicht so gut ins Konzept, muss aber raus aus meinem Kopf und das geht bei mir nur mittels Verschriftlichung. Die Irrlichterkette soll dagegen auch weiterhin eher literarisch bleiben.

Außerdem habe ich (inoffiziell schon vor einigen Wochen) bei Kwerfeldein (dem größten deutschsprachigen Photomagazin im Netz) als Redakteur angeheuert und werde auch dort regelmäßig Artikel rund um die Welt der Lichtbilder und allem, was dazu gehört, veröffentlichen. Großartiges Team, tolle Seite, alles super.

Drittens kann man man gerade Schwarzweißphotographien von mir in Aaachen sehen: Im Rahmen des Südstadtfestivals ist eine kleine, aber feine Ausstellung mit einigen meiner Arbeiten im Last Exit gestartet, die noch einige Wochen laufen wird. Danach wandert ein Teil der Bilder zu einer weiteren Ausstellung im Rahmen der Nacht der Wissenschaften an der RTWH. Am 8. November werde ich zur Finissage im Last Exit auch persönlich vor Ort sein. Falls irgendein oder mehrere Zuleser aus Aachen kommen, dann würde ich mich sehr freuen, euch dort zu sehen.


Nanoskop (XXIX)

„Ich lass mir eine Fischsemmel tätowieren.“ / Wie treu mir das Unglück bleibt. Es muss Liebe sein. / Lebensdarsteller. / Vernichtungen bei Kaffee und Kuchen, Sprengstoff in der Tastatur. / Ein Unterschied wie Amsterdam und Hannover. / „Soll ich Dich aufwecken?“ – „Häh? Ich schlafe doch gar nicht.“ / Geständnis: Ich wäre vermutlich auch gegen geistiges Eigentum, wenn ich keines hätte. / Mir fehlt echt die Zeit für Leute, denen für Kunst und Literatur die Zeit fehlt. / Feuerfester Kummerkasten (Streichholz einwerfen, wenn voll). / Der „Wann kann ich mit Dir schlafen? Wenn mein Freund mich verlässt. Wann verlässt Dich Dein Freund? Wenn Du mit mir schläfst.“-Teufelskreis. / Selbstbildnis als Balanceakt in Öl. / „Du hörst mir nicht zu.“ – „Das liegt daran, dass Du dauernd irgendwelche Dinge sagst, aber nie mit mir redest.“ / Selbstgeschriebener Pop-Hit „I only miss you when I’m drunk.“ / Todgeweihte Mäuse und andere seltsame Erfahrungen am Rande des Älterwerdens. / „Ich lass mir ein Haus tätowieren und zieh dann da ein.“


Intensität/Intention (2012)

intense-raventhird.de


Shortreviews (X)

Deathspell Omega – „Drought“ (Musik:EP; 2012)

Seit vierzehn Jahren ist recht wenig bekannt über eine der herausfordernsten Bands im aktuellen Musikzirkus: Interviews gibt es wenige, Liveshows sowieso nicht, eine offizielle Webpräsenz bertreiben die drei Franzosen von Deathspell Omega auch nicht. Stattdessen: Immer und immer wieder grandiose Alben aus dem Großbereich Progressive Black Metal, die sich teilweise recht stark voneinander unterscheiden, jedes Mal aber auf einem Qualitätslevel sind, das andere Bands aus dem Genre auf die nachfolgenden Ränge verweist. Die EP „Drought“ mit sechs Songs und 21 Minuten Spielzeit bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme, fräst sich mit chaotisch-verschachtelten und atonalen Kompositionen in die Gehörgänge und tönt dennoch streckenweise gänzlich anders als der bisherige Output. Man darf mit Fug und Recht behaupten, dass diese EP das neben dem letzten Langspieler „Paracletus“ bisher vielseitigste, aufgrund der verminderten Geschwindigkeit der Darbietung und der Kürze der Stücke (anders als sonst schreibt die Band hier überwiegend Tracks im Bereich drei oder vier statt zwanzig Minuten) aber gleichzeitig zugänglichste Werk der Avantgarde-Metaller ist. Auf derart hohem Niveau agieren derzeit nur ganz wenige Bands. 9/10

Benjamin Maack – „Monster“ (Buch; 2012)

Eine tote Eule im Kofferraum, ein altes Modellschiff, Masturbation und Schuldgefühle in der Badewanne, in die Luft geworfene Steine, die auf die Protagonisten herunterregnen: Die Geschichten in Benjamin Maacks zweiten Erzählband „Monster“ haben nur nicht skurrilen Humor, sondern immer auch Tiefgang und stellen die ganz großen Fragen nach Liebe und Tod auf eine subtile und sehr liebenswerte Weise durch kleine Begebenheiten, die der Erzähler, der in jeder Episode ebenfalls Benjamin heißt, auf seine intelligent-lakonische Art zu verstehen sucht und durch seine Unbeholfen- und Schüchternheit nicht selten verschlimmbessert. Man stelle sich vor, Judith Herrmann wäre ein Mann, würde etwas weniger explizite Melancholie und stattdessen ein bisschen mehr Selbstironie und Sarkasmus über ihre Geschichten gießen und kommt damit Benjamin Maacks dennoch einzigartigem Erzählstil sehr nahe: schwermütige und komplizierte Konstellationen zwischen Menschen lässt Benjamin Maack mit seinem sehr originellem Humor nicht leicht wirken, aber er bringt den Leser immer wieder zum Lachen. Ein verflucht guter Geschichtenband. 8/10

Ridley Scott – „Prometheus“ (Film; 2012)

Es passt wie der Flammenwerfer auf das durch eine unbekannte Seuche zum Zombie mutierten Crewmitglied, dass der Co-Writer von Ridley Scotts Rückkehr zum Sci-Fi-Genre „Prometheus“ zuvor auch das Debakel der Serie Lost mitzuverantworten hatte, denn Prometheus ist am Ende genau das: Alien für die Generation Lost. Ein visuell äußerst beeindruckender Film, der aber leider mit Plotholes von den Dimensionen schwärzer Löcher, mit absurd verschiedenen Infizierungen, Kreaturen, Alienschwangerschaften plus passenden Actionszenen aufwartet und mit Charakteren bestückt ist, die durchgängig den Charme von Androiden aufweisen (der Androide David ist tatsächlich die menschlichste und tiefgängigste Figur) und in Sachen Intelligenz direkt aus einer Horrorsatire entsprungen sein könnten. „Prometheus“ ist wahrscheinlich der enttäuschenste Film des Jahres, nicht unbedingt nur deswegen, weil er ist, was er ist, sondern weil er permanent daran erinnert, was er sein könnte: Er sieht aus wie ein ernsthaftes Alien-Prequel, er erzeugt immer wieder die Atmosphäre eines ernsthaften Alien-Prequels, bleibt am Ende aber eher eine lächerliche Parodie. 4/10


Schallplatten & die Knöpfe an Deinem Kleid.

Ich hatte schon lange keinen so sexuellen Moment mehr wie den, in dem Du mich fragtest, ob ich Dir helfen könnte, Dein blaues Kleid zuzuknöpfen, obwohl ich in den letzten Monaten mit verschiedenen Menschen geschlafen habe. Wir sind auf diesem Konzert, eine Band mit zu vielen Mitgliedern für eine gewöhnliche Band spielt diese entrückte Folkmusik, die eine Menge beschissener Hipster angelockt hat, im Hintergrund der Bühne wird eine überdimensionale LP an die Wand projiziert und Du bemerkst plötzlich, dass Du nur den obersten Knopf Deines Kleides zugemacht hast, der Rest steht offen und entblößt die obere Hälfte Deines Rückens. Zuerst versuchst Du, das Problem selbst zu lösen, dann fragst Du mich, ob ich Dir helfen kann. Ich schließe nach und nach jeden dieser fünf Knöpfe, meine Fingerspitzen berühren dabei mehrfach Deinen Rücken und mir wird in diesem Moment plötzlich wieder bewusst, wie wenig Erotik in ihrem Kern eigentlich mit Geschlechtsorganen zu tun hat. Es geht um Vertrauen, um Vertrautheit und kleine Details, um die Dinge, die eben nicht passieren, nicht ums Ficken. Ich knöpfe Dein Kleid zu, während die Musik läuft und dieser Moment erregt mich in meinem Kopf so viel mehr als Sex mit Großstadtmenschen, die verlernt haben, was es eigentlich bedeutet, einen Menschen zu begehren, es jemals könnte.


Nanoskop (XXVIII)

„Vielleicht solltest Du Dein Umfeld ändern.“ – „Gute Idee. Wir sehen uns.“ / Basejumper, die Rapunzel die Haare kämmen. / Pro-Tipp: Immer der Einheitsmeinung hinterherzulaufen macht keine einflussreiche Person aus Dir, sondern einen Populisten. / „In Hamburg tragen sie das Kinn aus Arroganz so weit oben, dass sie sich gegenseitig nicht sehen können.“ / „Ich hab hundert niemals gelebte Leben hinter mir. Du würdest auch müde wirken.“ / Lammfromm auf der Augenweide. / Niemals gehen, immer tanzen. / Selbstbildnis als abgerissene Plakatwand, auf der früher ganz viel zu lesen stand. / Lange dürre Beinchen. / Du versuchst seit Jahren, über diese Fassade zu klettern und die Angst wird immer stärker, dass dahinter gar nichts ist. / Unsympathie beginnt dort, wo Meinung größer wird als Verstand. / Paradebeispiel „Funkenmariechen“. / „Warum tust Du das?“ – „Woher soll ich das wissen? Ich bin doch kein Psychologe!“ / Die Ewigkeit hält sich in Grenzen.


Twist & Turn (2012)

Twistturn_raventhird.de

Model: Phika

Mehr.


Kleines Handbuch zur Verwandlung in einen Baum.

Bei der bewussten und gezielten Verwandlung in einen Baum kann so einiges schiefgehen, also sollten Sie sich besser genau darauf vorbereiten, falls Sie einen solchen Schritt ernsthaft in Erwägung ziehen. Ganz abgesehen davon, dass die Umwandlungsprozedur an sich ziemlich schmerzhaft sein kann, sind dabei außerdem folgende Dinge unbedingt zu bedenken:

1.) Die Wahl des Standortes.

Nichts ist bei einer Baumwerdung wichtiger als die Wahl des richtigen Standortes, schließlich werden Sie an eben jenem Standort den Rest ihres Lebens verbringen, was sich ganz von selbst erklärt. Nehmen Sie sich also unbedingt eine möglichst große Menge Zeit, bevor Sie sich für den definitiven Ort entscheiden und versuchen Sie bei der Auswahl wie ein Baum zu denken. Reisen Sie. Gucken Sie sich Wälder und Bäume in vielen verschiedenen Ländern an, finden Sie am besten ein Gewässer, das gibt eine schöne Soundkulisse. Ob es fließend ist, sollten Sie von ihren persönlichen Vorlieben abhängig machen. Außerdem dringend zu empfehlen ist eine leicht erhöhte Position. Sie werden durchschnittlich etwa 15 Jahre damit verbringen, zu Ihrer vollen Größe heranzuwachsen, also stellen Sie sich nicht direkt zwischen zu viele zukünftige Artgenossen, sonst verbringen Sie diese Zeit zum Großteil damit, den Wald vor lauter Bäumen usf., Sie verstehen schon, was ich sagen will. Zu weit entfernt von anderen Bäumen wiederum sollten Sie sich aber auch nicht ansiedeln, denn auch wenn Sie nach der Verwandlung nicht mehr kommunizieren können, wird es Ihnen doch gut tun, ein paar Exemplare Ihrer Art in Sichtweite zu haben, falls Sie kein radikaler Dentrotroph werden. Entscheiden Sie aber auf keinen Fall nach Dauer der Sonneneinstrahlung oder ähnlichen menschlichen Denkkategorien. Als Baum ist es Ihnen später relativ scheißegal, ob Sie in Sibirien oder in der Wüste stehen, Ihre Jahreszeiten und Zyklen erleben Sie überall (dazu später mehr). In der unmittelbaren Nähe von Menschen oder Städten möchten Sie sich außerdem auf keinen Fall ansiedeln, aber das wird Ihnen Ihr Bauchgefühl beim ersten Nachdenken über die ganze Geschichte auch schon mitgeteilt haben.

2.) Die Entscheidung zwischen Laubabwerfend und Immergrün.

Die Wahl zwischen den beiden Varianten ist fast so schwer wie die Wahl des Plätzchens, an dem Sie sich niederlassen werden. Gehen Sie also ganz sicher, was ihren Vorlieben am besten entspricht, wenn Sie diese Entscheidung treffen und denken Sie sie in allen Einzelheiten mehrfach und gründlich durch. Machen Sie eine Liste über die Vor- und Nachteile. Wollen Sie tatsächlich in jedem Jahr eine Metamorphose miterleben, bei der Ihre Blätter zunächst verschiedene Farbstadien durchlaufen und Ihnen dann vom Leib fallen? Oder ist Ihnen das deutlich zu viel Hektik und Trubel und Sie bleiben lieber bei ihrem Gewand und tauschen es ganz in Ruhe nach und nach aus? Es ist kniffliger als es klingt. Wenn Sie ein sehr gestresster Mensch sind, der auch aus dem Grunde zum Baum werden will, dass er endlich mal zur Ruhe kommen kann, dann werden Sie sich vermutlich eher die Nadeln überstreifen und diesen Zirkus nicht mitmachen (vergessen Sie dabei auch nicht die veränderte Zeitwahrnehmung: bei uns Bäumen vergeht ein Jahr recht fix). Andererseits könnte es auch sein, dass Sie diese Entscheidung in ein paar Jahrzehnten zutiefst bereuen werden und sich dann endlich wieder etwas Abwechslung in Ihrer äußeren Erscheinung herbeisehnen. Ich verrate Ihnen noch ein kleines Geheimnis: Im Grunde hadert jeder baumgewordene Mensch irgendwann mit seiner Entscheidung in dieser Frage, fragt sich sehr ausführlich und ernsthaft, wie es wohl wäre, die andere Variante gewählt zu haben und findet meist nach länger oder kürzeren Identitätskrisen doch zu sich. Dennoch sollten Sie die Sache auf gar keinen Fall auf die leichte Schulter nehmen, das wäre wirklich sehr unklug und eines Baumes nicht würdig.

3.) Die Wahl der richtigen Art.

Weniger wichtig als die Entscheidung zwischen Laufabwerfend und Immergrün, aber dennoch nicht unerheblich, natürlich auch in Kombination mit der Standortfrage, ist die schlussendliche Auswahl der Baumart, die Sie gerne sein wollen. Vielleicht denken Sie jetzt spontan an exotische Vertreter wie Palme, Ginko, Mammutbaum oder etwas noch viel Seltsameres. Aber vergessen Sie bitte nicht: Ein Außenseiter waren Sie vermutlich schon im echten Leben, es war doch einer der Gründe, warum Sie sich erst für diese ganze Baum-Nummer entschieden haben. Viel solider sind Fichten, Eichen, Kiefern und Buchen. Falls Sie einen Hang zur Melancholie haben und diesen weiterpflegen wollen, dann würde ich ihnen außerdem ans Herz legen, sich Weiden genauer anzugucken. Wenn es am Ende doch eine Nummer extravaganter sein muss, dann kann ich außerdem nur zum Olivenbaum raten, dann können Sie einerseits knorrig und massiv werden, andererseits Ihre Äste aber auch in absurd-schiefwinkligen Haltungen wachsen lassen, das ist verdammt cool. Sie werden als Olive soetwas wie der Dandy unter den Bäumen sein. Wirklich wichtig: Werden sie kein Kautschuk. Alles, nur nicht Kautschuk. Es mag aus jetziger Perspektive reizvoll klingen, dass Sie sehr viel Kontakt mit Menschen haben könnten, aber wenn Sie erstmal ein Baum sind, dann gibt es wenig, was schlimmer ist, als ein paar halbwilde Fremde, die dauernd an Ihnen herumschnippeln und Eimer an Sie hängen, um die austretenden Säfte aufzufangen. Vertrauen Sie mir: Wenn sie unbedingt Action haben wollen, dann werden Sie eine Kastanie. Es macht Spaß, diese dicken Früchte fallenzulassen. Dass Sie kein afrikanischer Baum in Dänemark werden wollen, sollte außerdem klar sein. Wer derart dumm an die Sache herangeht, hat es aber auch nicht anders verdient, als direkt einzugehen.

4.) Die Vorbereitungen auf die Verwandlung.

Es ist nicht ganz einfach, das direkte Umfeld in die Entscheidung zur Baumwerdung einzuweihen, das war es bei keinem von uns. Ihre Freunde, Verwandten und eventuell vorhandenen Partner werden Sie zunächst für völlig verrückt erklären. Eventuell werden sie sogar versuchen, Sie in eine Heilanstalt einweisen zu lassen. Falls diese Gefahr bestehen sollte, dann überlegen Sie bitte, ob Sie zum Zeitpunkt der Umwandlung nicht lieber einen plötzlichen Tod vortäuschen wollen. Das bringt natürlich Nachteile mit sich. Sie können den Angehörigen in dem Falle nicht mitteilen, wo Sie sich in Zukunft aufhalten werden. Auch wenn Ihnen als Baum beim Wachsen der Jahresringe die Menschen allmählich völlig fremd und schließlich ganz gleichgültig werden und Ihre Erinnerungen an ihre Zeit als einer von ihnen auch nach und nach verschwinden, so tut es doch gerade am Anfang gut, wenn ab und zu mal eines von den Fleischwesen vorbeikommt, sich an Ihren Stamm setzt und ein Buch liest oder ähnlich unnütze Dinge in Ihrer Nähe tut. Wenn Sie ihre Leute ernsthaft einweihen wollen und von der Sache überzeugen können, dann müssen Sie aber in jedem Fall sehr klare Regeln aufstellen. In der Rinde herumritzen ist absolut tabu, es kann scheußlich kitzeln, manchmal jahrelang. Umarmungen und generelle Anwesenheit sind dagegen völlig in Ordnung, aber das sollte nicht öfter als ein oder zweimal im Monat passieren. Es wird Ihnen als Baum deutlich öfter vorkommen, glauben Sie mir. Und es ist jedesmal unfassbar nervig, wenn Sie gerade kurz davor sind, einen Gedanken zu beenden, an dem Sie seit Wochen herumdenken und formulieren und dann plötzlich drei Zweibeiner um Sie herumhampeln. Wichtig ist außerdem, dass Sie ihren zukünftigen Besuchern klarmachen, dass Sie so gut wie kein Wort mehr von ihrem menschlichen Geplapper verstehen werden. Reden ist für Besucher also erlaubt, aber völlig zweckfrei.

5.) Die Wahl des richtigen Zeitpunkts.

Als erfahrener Baum könnte man natürlich behaupten, dass der Zeitpunkt der Umwandlung ziemlich egal ist, aber die Wahrheit ist: Das stimmt nur zum Teil und ist eine recht zynische Position. Natürlich werden Sie, wenn sie erst richtig ausgewachsen sind, mit viel Nostalgie und einem Rascheln in den Zweigen an das erste Jahr ihres Baumseins zurückdenken, egal, wie es verlaufen ist, aber während Sie es durchleben, kann es auch richtig überwältigend werden. Sie müssen sich erst umgewöhnen, die Dinge von Grund auf neu lernen und es macht dabei einen wesentlichen Unterschied, in welcher Jahreszeit Sie anfangen. Vom Herbst würde ich abraten, die anderen haben jeweils Vor- und Nachteile. Sommer ist ein toller Einstieg, weil man direkt in voller Blüte steht, Insekten, Bestäubung und der ganze Kram. Großartige Sache. Nur danach kommt dann eben auch das Erwachen. Den Winter direkt am Anfang überstehen kann verflucht hart werden, hat aber in der Folge einen umso positiveren Effekt. Sie lernen schnell die eher tristen Seiten Ihrer neuen Existenz kennen und haben dann umso mehr, auf das Sie sich freuen können. Frühling zu Beginn wird Sie ziemlich flashen und wenn dann noch der Sommer kommt, dann fühlen Sie sich absolut unbesiegbar. Das sollten Sie dann aber auch wirklich sein, denn der Abstieg ist wirklich krass. Mein Geheimtipp ist es, in der Mitte des Winters loszulegen. Dezember ist eine gute Zeit. Den Grund dafür können Sie sich aus dem, was ich gerade erzählt habe, selbst zusammenreimen. Was Sie in den ersten Jahren außerdem unbedingt im Hinterkopf behalten sollen: Wenn Sie das erst zehn Mal mitgemacht haben, dann wird es alles ziemlich einerlei. Dann zählt eher das Baumsein an sich und das hat ganz andere Aspekte als äußere Umstände. Also seien Sie am Anfang ruhig überwältigt, verängstigt oder begeistert, nehmen Sie das unbedingt mit, diese Gefühle verschwinden schneller als man sich neue Äste wachsen lassen kann.

Eine berechtigte Frage Ihrerseits ist an dieser Stelle natürlich, woher ich so viel über die Vor- und Nachteile weiß, die diese Dinge mit sich bringen. Vor allem ist es ziemlich unrealistisch, dass ich Sie über verschiedene Baumarten belehren kann, finden Sie nicht? Schließlich habe ich mich ja auch irgendwann für eine Art entschieden und kann gar nicht wissen, wie es im Detail ist, die anderen Arten zu sein. Nun: Ich hatte einerseits ziemlich viel Zeit, darüber nachzudenken, andererseits haben Sie sich ja auch gar nicht gefragt, wie ich denn als Baum in der Lage bin, einen Text zu produzieren, oder? Dieses Dinge bleiben ganz Ihnen überlassen, ich bin nicht hier, um Sie zu irgendetwas zu überreden oder mich zu rechtfertigen. Blasen Sie die Sache doch ab, wenn Sie mir nicht über den Stamm trauen. Bleiben Sie weiter ein Mensch. Leben Sie ihr Leben, in dem sie dauernd von A nach B hetzen und nie genug Zeit für irgendwas haben, zu Ende und lassen Sie sich irgendwo ein nettes Grab ausheben, dessen Ruhe zu genießen Sie aber leider nie die Gelegenheit bekommen werden. Nur kommen Sie dann auf dem Sterbebett nicht auf die Idee, sich zu beklagen, dass Sie doch kein Baum geworden sind.


Schriftstück.

Ich lebe, um mich zu finden und schreibe, um mich zu verlieren. Schreiben ist: Das, was man an Eindrücken, Gefühlen und Details wie ein Schwamm aufgesogen hat, bis auf den letzten Tropfen auf ein Stück Papier auszuwringen, es genau von allen Seiten zu betrachten, wie ein Journalist, der Recherche über sein eigenes Leben betreibt, es mit dem Aufschreiben erst greifbar und real zu machen, es dann in kleinste Einheiten zu zerhäckseln und völlig sinnentstellend zu rekombinieren, damit es kein Teil mehr von einem selbst als realer Person ist. Der Prozess hilft dabei, Erinnerungen genau zu erfassen, zu analysieren, zu verinnerlichen und dann ganz weit wegzuschieben, damit sie gar nicht erst die Chance bekommen, sich in Monster zu verwandeln.


Ornaments II (2012)

Ornaments II - raventhird.de

Model: Dini

Mehr.


Ich bin ja nur ein Atheist, aber…

Wäre ich die katholische Kirche, ich würde eine Webseite bauen lassen, auf der man die ganze Bibel lesen kann, schön übersichtlich gestaltet, mit einzelnen Kapiteln, Zusammenfassungen, Illustrationen und teuflisch schicker Typographie. Man könnte einzelne Textstellen markieren und twittern oder bei Facebook und sonstigen Social Networks posten.

Wäre ich die katholische Kirche, ich würde dem Papst bei seinem nächsten öffentlichen Auftritt (dezent, aber sichtbar) eine Flasche Fanta auf den Schreibtisch stellen lassen, kommentarlos. Das Internet würde den Rest erledigen.

Wäre ich die katholische Kirche, dann würde ich einmal im Jahr einen Wettbewerb ausrufen, bei dem zeitgenössische Schriftsteller meine besten Stories (Mose und das Meer, Die Apokalyse, Adam und Eva etc.pp.) neu schreiben und vortragen, ohne irgendwelche Vorgaben. Die Texte gäbe es im Bundle mit den zugehörigen Originalen für jedermann kostenlos als Print- und eBook-Version.

Wäre ich die katholische Kirche, dann wäre die einzige inhaltliche Änderung, die ich direkt vornehmen würde, die Aufhebung des Zölibats, was dafür sorgen würde, dass sich bei mir nicht nur Psychopathen und Kinderficker um Stellen bewerben. Ein paar Jahre später würde ich auch Frauen zulassen, die können den Job mutmaßlich sowieso deutlich besser, weil bei mir soziale Kompetenz gefragt ist.

Wäre ich die katholische Kirche, ich würde alle meine abgefahren beeindruckenden Kirchen, Klöster und sonstigen Bauwerke weltweit in 3D photographieren und eine iOS-App bauen lassen, mit der man sie alle virtuell besichtigen kann. Andere mobile Betriebssysteme würde ich erstmal weglassen, mit der Begründung, dass Gott das noch nicht „approved“ hat und dahinter einen Link zum passenden Kickstarter-Projekt für die Android- und Windows-Portierung packen, das innerhalb von zwei Minuten zwanzigfach finanziert wäre, wozu ich natürlich schon eine entsprechende Pressemitteilung vorformuliert in der Schublade liegen hätte.

Wäre ich die katholische Kirche, ich würde sofort mehrere Kampagnen starten, in denen ich den Leuten klar machen würde, dass in der Vergangenheit zwar einiges schief gelaufen ist, aber dass meine Kernbotschaft von Nächstenliebe und sich nicht wie ein Scheißasi benehmen eigentlich ziemlich zeitlos gut ist, egal, ob man an den alten Mann in Himmel glaubt oder nicht.

Wäre ich die katholische Kirche, ich würde den Gottesdienst interaktiver und mit viel mehr Humor gestalten und würde jeden neu eingestellten Prediger dazu verpflichten, neben dem üblichen Beichtkram für die älteren Gläubigen einfach permanent für die Leute übers Netz erreichbar zu sein und bei Problemen aller Art zu helfen oder einfach nur zuzuhören.

Wäre ich die katholische Kirche, es könnte alles ziemlich cool werden, auch ohne den Inhalt groß zu verändern.


Nanoskop (XXVII)

Wahnsinn: Alles verpixelt. Ach ne, nur schmutzige Fensterscheiben. / Entscheidungen. Optionenholocaust. / „Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen, ich kann Dir auch einfach welche abgeben.“ / In einer Welt gefangen, in der Last.fm-Empfehlungen selbstverständlich davon ausgehen, dass ich nur Kram hören will, der genauso klingt. / To Do: Fähnchen im Wind stürmisch von ihren Masten reißen. / Mit Dir über blühende Tastenfelder huschen. / Ungesund: Menschenverstand. / Ich kann stundenlang was sagen, ohne zu reden. / Der Opportunist und die Tendenzieuse. Ein Wendehalsdrama in drei Meinungsumschwüngen. / Ich fühle mich, als hätte ich geistigen Sprengstoff bei mir, will aber nur diesseitige Jungfrauen erobern. / „Wollen Sie denn gar nicht wissen, wer ich bin und was ich an diesem Ort tue? Ich bin Post-Privacy-Aktivist!“ – „Bitte gehen Sie weg.“ / Verstandesverlustgemäß.


Gegenlicht.

Ich lese Deine alten Briefe, lese dort von Ideen, davon, was Du erreichen willst, koste es, was es wolle. Es klingt ernst. In meinen Antworten stand sicherlich irgendetwas über Photographie und Worte und ich frage mich, was passiert ist mit der Person, die mir diese Sätze geschrieben hat, die so überzeugt davon war, ihre Träume zu jagen? Wohin genau ist sie verschwunden und warum habe ich von ihrem Verschwinden so lange nichts bemerkt?

Vielleicht war der Unterschied zwischen uns beiden immer der, dass Du nur geträumt hast, ich geplant. Für mich sind die Dinge, zu denen es mich innerlich zieht, nie eine Illusion, nur eine Frage von Beharrlichkeit und Zeit. In dem Augenblick, in dem Du Deine eigene Vision beerdigt hast, hast Du Dich verwandelt in Sandra aus meiner Abschlussklasse, die nie irgendwelche Ambitionen hatte und heute in einem Reisebüro in dem Ort, in dem ich aufgewachsen bin, ihr Dasein fristet, sicherlich glücklich.

Wer nichts mehr will, der fängt unweigerlich damit an, auf den Tod zu warten.