“Die Welt muss romantisiert werden. So findet man ihren ursprünglichen Sinn wieder. Romantisieren ist nichts als eine qualitative Potenzierung. Das niedere Selbst wird mit einem besseren Selbst in dieser Operation identifiziert. So wie wir selbst eine solche qualitative Potenzenreihe sind.” – Novalis, Fragmente.
Der Plan:
Ich drucke mir ganz viele kleine Zettel aus. Mit meinen Gedichten drauf. Ich verteile diese Zettel in der Stadt, ich werfe sie nicht irgendwo hin, ich versuche, sie so zu platzieren, dass man sie finden kann. Und wird.
Die Frage:
Warum tut der Sebastian denn sowas?
Die Antwort für jedermann, ganz ohne Literaturgeschichte und Kunsttheorie:
DIE WELT MUSS RE-POETISIERT WERDEN!
Kunst und insbesondere Lyrik nehmen in unserem pragmatischen, verbachelorisierten und auf Effizienz ausgerichteten Alltag nicht nur keinerlei relevante Stellung mehr ein, sie haben überhaupt keinen Platz mehr. Kunst wurde in Museen verbannt, Lyrik in muffige Deutschstunden. Versuchen Sie mal, mit einem Verlag ernsthaft über die Veröffentlichung eines Gedichtbandes zu reden. Die lachen sie aus. Das Wunderbare hat keinen Platz mehr in der Realität, Verwendung findet nur noch das Zweckmäßige in möglichst knackigen Schlagzeilen, die populäre fiktionale Literatur wird von dümmlich-kitschigen Historienthrillern dominiert, die inhaltlich und sprachlich auf 800 Pages zum Turnen leerer sind als eine einzige Seite KafkaNietzscheMusilPynchonCelan und das nicht mal maßlos, sondern nur ein klein wenig übertrieben, die Lyrik ist zu einem Schimpfwort verkommen für Tagebuch-Emo-Kitschtextzeilen, geschrieben von pubertierenden Mädchen, die Herz auf Schmerz reimen.
Das muss aufhören und das Wunderbare wird hiermit wieder Teil des Alltags. Die Leute kommen nicht zur Kunst, also kommt sie jetzt zu ihnen. Zumindest dort, wo ich mich aufhalte und weil eben sonst niemand anfängt, fange ich erneut damit an und drucke mir Hunderte winzige Zettel mit eigenen Gedichten, die ich zukünftig wieder überall dort hinterlasse, wo ich die Gelegenheit dazu habe: In Supermärkten zwischen Schokoladentafeln. Hinten, in der Kapuze von dem Typen, der in der Schlage vor mir steht. Drüben in der Parkzettelmaschine. Vorne, an der Bar von dem netten Irish Pub. Im Keller auf dem Zählerkasten. Unter dem Tisch. In den Ritzen der Winkel des Hauses, an dem ich vorbeigehe, auf dem Dach, in der U-Bahn gleich überall, im Aufzug und auch am Strand. Im Bienenkasten, drüben auf dem Erdtrabanten, hinter sieben Ecken, im Briefkasten der schlimmsten Winkeladvokaten, bei McDonalds auf dem Klo, an der Tanke beim Staubsauger, auf den fluffigsten Quellwolken, in den schlimmsten Yuppiebars, den schnieksten Ausstellungen von Dalí und vielleicht gehe ich sogar extra mal ins Rathaus.
Eine Bitte:
Falls Sie einen der Zettel finden oder gefunden haben: Schreiben Sie mir doch bitte in einer kurzen eMail an raventhird(at)gmail.com, welchen der Zettel Sie wann und wo entdeckt haben und was Sie sich dabei dachten, oder hinterlassen Sie einen entsprechenden Kommentar unter diesem Artikel. Es würde mich sehr freuen, zu hören, was aus meinen Gedichten geworden ist. Danach können Sie den Zettel auch gerne wieder aussetzen oder ihn abschreiben (bitte mit dem Link), hundertfach ausdrucken, kopieren und die Zettelgedichtaktion so fortsetzen.
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Ich bin angeklagt, bei meiner Magisterprüfung geschummelt zu haben, der Titel soll mir aberkannt werden. Mein damaliger Professor H. ruft mich an und zu sich, sein Assistent legt eine Videokassette in einen uralten Fernseher ein, der mitten im Büro einfach auf den Boden gestellt wurde. Auf dem Video sei der eindeutige Beweis für meinen Betrug. Im ersten Teil des Videos sieht man eine große, schicke Wohnung, in der halbnackte Frauen herum albern. Irgendwann bin ich auch im Bild. Ich erinnere mich nicht an die Wohnung, aber ich weiß intuitiv, dass ich dort gewohnt habe und ich weiß, dass mein Professor selbst dieses Video gedreht hat. „Wer sind diese Frauen?“, fragt er mich, als ob er nicht wüsste, dass er selbst hinter der Kamera stand. „Freunde von meiner Ex-Freundin!“, antworte ich etwas unbeholfen, etwas schuldbewusst, aber aus meiner Sicht doch überzeugend und füge hinzu: „Was spielt das für eine Rolle?“ Er schweigt und wir gucken weiter das Video, das immer pornographischere Züge annimmt. „Das wirst Du schon noch erfahren“, sagt er. Er stelle hier die Fragen.
Im zweiten Teil des Videos steigt eine alte Frau mit einem blauen Kapuzenpulli, die Mütze über den Kopf gezogen, aus einem dieser roten Londoner Busse aus. Sie soll der Schlüssel zu meinem angeblichen Betrug sein, so wird mit erklärt. Ich erkenne sie sofort wieder, obwohl sie viel zu stark gealtert ist: Es ist meine ehemalige Linguistikprofessorin K., aber sie erinnert sich leider nicht an mich, sie ist nämlich nicht nur in dem Video, sondern im selben Moment real vor dem Haus aus dem Bus gestiegen und steht plötzlich neben uns, blickt auf sich selbst auf dem Fernsehschirm und spricht die Worte synchron mit ihrer Aufnahme, die nun ebenfalls auf meine Fragen antwortet. Ich schaffe es nicht, sie zu überzeugen, sich an mich zu erinnern. Um meine Unschuld zu beweisen, trete ich mit ihr, Professor H., seinem Assistenten und einer kleinen Gruppe von gesichtslosen Menschen in roten Hemden die Reise zum Gipfel eines surrealen Berges irgendwo in Asien an. Ich weiß nicht, was ich dort zu finden glaube, aber es wird mich entlasten, das glaube ich zu wissen. Im Laufe der Reise, die wir in einer Kutsche beginnen, wird meine Linguistikprofessorin K. immer jünger und ich erinnere mich an eine zweite Begegnung mit ihr, als sie derart verjüngt ist, dass sie in meinem Alter ist: Sie war eine Ex-Freundin von mir, mit ihr habe ich in dieser Wohnung gewohnt, die zu Beginn des Videos gezeigt wurde. Und ich verliebe mich noch einmal in sie.
Je weiter wir nach oben steigen, desto seltsamer werden die Verhältnisse auf dem Berg. Dichter Nebel macht es bald unmöglich, zu erkennen, wo eigentlich oben und unten ist und wenn man auf die Bäume klettert, dann endet man nicht in Baumkronen, sondern wieder auf auf einem Boden und man steht Kopf an einer Decke, die es auf einem Berg gar nicht geben sollte. Immer mehr Vegetation tritt auf, wir sind nach einigen Tagen mitten auf einem Dschungelberg, auf dem es kein Oben und Unten (im doppelten Sinne) gibt. Der Assistent von Professors H. verliert derweilen die Videokamera, die er mitgebracht hat, um die Reise zu meinen Ungunsten zu dokumentieren. Irgendwann erscheint in der weiten Ferne auf dem Gipfel (der sinnigerweise in einem Tal liegt) ein futuristischer Turm, der an der Spitze eine kugelförmige Kuppel hat, umgeben von kleineren Bauten, die in verschiedenen Farben beleuchtet werden. Dort müssen wir hin, dort ist die Bibliothek, denke ich.
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„Kennst Du das Gefühl, dass Du bereit wärst für etwas zu sterben, aber Du findest trotz angestrengter Suche nichts, für dass es sich zu sterben lohnt? Oder zu leben? Ich kenne dieses Gefühl. Zu gut.“ – „Ich nicht.“ – „Ich hasse es, wenn Du das sagst.“ – „Warum?“ – „Es zwingt mich zu weiteren Überlegungen, die gänzlich anderswo enden, als dort, wo ich hin will. Oder lässt mich wie einen Idioten aussehen, wenn ich mich diesem Zwang verweigere.“ – „Es lässt Dich nicht wie einen Idioten aussehen, wenn wir unterschiedlicher Meinung sind und Dir das nicht gefällt. Nur wie jemanden, der Harmonie sucht.“ – „Harmonie ist vielleicht noch das Einzige, das ich auf meiner komischen Reise durch die Menschenwelt in den letzten Wochen finde.“ – „Nein. Du findest sie nicht. Du stellst sie zwanghaft her, indem Du Dich verdrehst. Deswegen bist Du auch unglücklich.“ – „Aber wie verdreht man sich denn nicht? Woher weiß ich, wer ich bin, was mein ‘echtes’ Ich ausmacht? Doch nur, indem ich etwas finde, für das es sich zu sterben lohnen würde. Und da sind wir wieder am Anfang. Ich finde den Gedanken logisch.“ – „Ich nicht.“ – „…“ – „Überlege weiter. Geh mal von dem Ego-Ding weg. Du bist unwichtig.“
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Rotes Band, blaue Wolken, grüner Tee:
Ein Nachmittag im nahen, fernen Land.
Es steht der Sinn mir nicht nach irdischem Gewühle,
nicht nach Freiheit, Menschenkram,
vorbei an Frauen, Männern, Kindern,
hinab zum Funkeln in der Zeit.
Vierzig Zeilen Herzblut, schwarze Tinte, gräuliches Papier:
Ein Traum zerfällt direkt vor mir zu Asche.
Es steht der Sinn mir nicht nach Ewigkeit.
Hohle Phrasen, dumpfe Lieder, stumpf und Stümper:
Ein neuer Tag in fernen, nahen Land.
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Drei redundante News aus meiner kleinen Welt, nur der Vollständigkeit, nicht des Spams wegen:
Michaela von Aichberger malt ihre Twitter-Follower, eine Aktion, die inzwischen beträchtliches Feedback auch in den großen Print-Medien bekommen hat. Ich darf mich glücklich schätzen, einer derjenigen zu sein, die im Laufe des Projekts gemalt wurden. Das Bild findet sich hier. Engelsflügel, Blut und meine Worte. Ich danke auf diesem Wege erneut. Mehrfach. Niederkniend.
Negoist New Art heißt die Gruppe, „Imagine the Imagination. New Visions of Surrealism“ das kommende Buch, das sich mit 100 Werken neuer digitaler wie traditioneller Kunst aus dem ästhetischen Umfeld des Surrealismus beschäftigt. Unter den vertretenen Künstlern befindet sich auch ein gewisser Sebastian Baumer.
Reinstallation des Kunstmaschine-Paradigmas (ein sich selbsterfüllendes Mantra): Ich werde ab dem heutigen Tag jeden Tag einen Text, ein Gedicht oder eine Rezension schreiben, ein Lichtbild photographieren, eine Collage erstellen oder ein Bild malen. Ich werde keinen einzigen Tag mehr den kleinen Bruder des Todes besuchen ohne diese Aufgabe erledigt zu haben. Solange ich lebe. Ich werde nicht mehr sinnlos Geld aus dem Fenster werfen, um Gegenstände zu erwerben, in die ich allein durch den Kauf bereits neue nostalgische Emotionen legen kann. Ich werde keine Kassenzettel und keine Rechnungen aus Restaurants mehr aufbewahren, denn sie dienen nur dem selben Effekt. Ich werde nicht mehr durch die Stadt laufen und mich verzweifelt an allen neuen und alten Menschen festhalten, die ich finden kann. Ich werde jedes Erlebnis und jede Begegnung als ein Geschenk betrachten. Ich werde in meiner Kunst ruhen.
tags: Ich male meine Follower, Kunstmaschine, Michaela Aichberger, Negoist New Art, New Visions Of Surrealism, Twitter | posted in Eigenwerbung, Leben
“Hey, darf ich Euch vielleicht fragen, habt ihr zufällig zwei Zigaretten oder ist das…” – “Belästigt Sie Euch? Hört Ihr gar nicht zu, Sie ist verrückt. Es sei denn natürlich, ihr habt wirklich zwei Zigaretten. Dann solltet Ihr vielleicht doch auf Sie hören.” – “Ist das so eine Art guter Cop, böser Cop-Nummer von Euch?”
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Ich war am Wochenende mitten in der Nacht plötzlich in einem surrealen Irrgarten aus metallischen Skulpturen neben einem innen und außen komplett mit Graffiti bemalten Haus, in dem es brennende Mülltonnen und irre Künstler in Wohnwägen gibt, wurde beim Einbrechen mit der Kamera in ein komplett von der Natur überwuchertes und verfallenes ehemaliges NSA-Gelände von einem missmutigen Ami-Wachposten erwischt, der so wirkte, als ob er dort jeden Tag Hausfriedensbrecher rausfischt und mich einfach durch ein Loch im Zaun wieder nach draußen schickte, habe in einer Bar, in der ein komplettes Wohnzimmer verkehrt herum an der Decke klebt, die wohl schlechteste existierende Liveband aller Zeiten erlebt, aber auch einen alternden Sänger mit Ziegenbart von einer anderen, sehr originellen Band aus Amerika kennengelernt, die zu elektronisch-psychedelischer Musik semischamanische Gesänge über Liebe performt, traf ein bezaubernd schönes Mädchen mit einem roten Grunge-Holzfällerhemd, die aus einem Land stammt, dessen Namen ich noch nie zuvor gehört hatte, verlor Sie wieder im Gewimmel der Nacht, photographierte heimlich Tonnen von Passanten auf der Straße und unterhielt mich auf dem Weg nach Hause eineinhalb Stunden mit einem aus Amerika und England zurück kehrenden Doktoranden der Biologie über sämtliche denkbaren Aspekte des HI-Virus, die er unglaublich anschaulich darstellen konnte.
Nicht schlecht für nur drei Tage.
tags: Berlin, HIV, Madame Claude, Mar Shy Sun, NSA, Tacheles, Teufelsberg, The Art Of Skinlessness | posted in Freistil, Leben
„Du denkst zu viel“, sagt Dir dann jemand und Du fragst Dich so für Dich selbst: „Zu viel im Vergleich zu wem?“, während Du freilich weißt, dass derjenige den Durchschnittsmenschen gemeint hat und (und dass nur das Normale das Gesunde ist, das wissen wir doch seit Foucault), wirfst aber direkt innerhalb dieses gerade relativierten Einwurfs weiter ein, dass man aber doch gar nicht wissen, höchstens schätzen könne, wie viel der Durchschnittsmensch so denkt, denn wer kann schon die Gedanken von anderen sehen und dann gleich von allen, die kann man höchstens erahnen, aber die Ahnung, da musst Du dem den Vorwurf formulierenden Menschen schon recht geben, die spricht doch eher dafür, dass die Allgemeinheit recht wenig denkt, sonst würden da drüben auch nicht gerade zwei Jugendliche eine Telefonzelle kaputt hauen (auch wenn sie freilich statistisch gesehen nicht gegen die 300 restlichen Leute standhalten können, die gerade friedlich in der U-Bahn sitzen), und deswegen war Deine ganze erste Reaktion am Ende dann doch eher eine Spitzfindigkeit, mit der Du Dich aus der Affäre ziehen wolltest, um nicht zugeben zu müssen, dass doch ein Körnchen Wahrheit in der Aussage liegt, eher ein Strand Wahrheit, falls mit dem Körnchen ein Sandkorn gemeint sein sollte, das musst Du Dir in diesem Moment mindestens eingestehen.
Und deswegen sagst Du: „Die anderen denken vielleicht eher zu wenig“, und willst jetzt selbst alle normalisieren, nur auf Deine eigene Norm, das ist Dir bewusst und deswegen war die Antwort höchst egostisch von Dir und darauf bist Du ein bisschen stolz, denn bevor man Dir gesagt hatte, dass Du zu viel denkst, meinte man glatt, Du wärest zu altruistisch und dem stimmtest Du eigentlich nicht zu. Und deswegen lächelst Du jetzt, während am Fenster der Hafen an Dir vorbeirauscht (freilich bewegt sich eigentlich die Bahn).
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„Was rappelt und zappelt und zuckelt und ruckelt denn da im Karton?“ – „Na, ich. Jetzt mach endlich die Tür auf, Du Spinner.“ – „Ich höre Stimmen!“ – „Du hörst gleich was anderes, wenn Du mich endlich reinlässt.“ – „Was denn?“ – „Das Geräusch meiner flachen Hand, die Deine Wange trifft.“ – „Ne, dann bleib mal lieber draußen. Das tut doch weh!“
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Eins.
Vom einem Ort aus, an dem kein Leben herrscht (Schreibtisch) agiert der untote Poet, bevorzugt des Nachts, bleich vor dem Notebook im fahlen Licht desselben. Die Beziehungen zu den Menschen und der Gesellschaft pflegt er nur deswegen, um diesen ihr Blut, ihre metaphysische Essenz zu entziehen und sie in seinen Texten neuem, wiederum untotem und ewigem Leben zu überführen, idealerweise beißend (sic!) zynischer Art.
Er ist parasitärer Außenseiter, hält der Gesellschaft einen Spiegel vor und provoziert sie mit seiner ganzen Existenz-, Handlungs- und Denkweise. Und dennoch: Er braucht die Menschen. Um seine eigene Unsterblichkeit und tragische Existenz zu sichern. Der Dichter ist der Vampir.
Zwei.
Da standen wir also, zwei Vampire, heil- und hilflos ineinander verbissen.
Ich hätte es sehen müssen. Es ist nur so, dass ich mich längst damit abgefunden hatte, in dieser Stadt der einzige unserer Art zu sein. Ich wurde unvorsichtig, hatte diese gänzlich unwahrscheinliche Option gar nicht erst auf dem Radar, als ich sie traf. Meine gespielte Hilflosigkeit musste mich selbst wie das perfekte Opfer erscheinen haben lassen, und so geschah das, was eigentlich nicht geschieht. Ich habe zumindest noch nie davon gehört und ich habe lange und oft mit den Ältesten von uns über unsere Existenz gesprochen.
Berechtigterweise werden Sie jetzt fragen, was denn eigentlich passiert, wenn Vampire sich gegenseitig beißen. Ich kann ihnen keine Antwort auf diese Frage geben, aber die Tatsache, dass ich noch auf der Welt herumwandere beantwortet sie zumindest mir selbst teilweise. Ich habe keine wirkliche Erinnerungen an die Tage und Wochen nach dieser Nacht, aber der Moment an sich wird sich wohl nicht mehr aus meinem Kopf tilgen lassen. Es ist einer dieser Momente, in denen von allen Seiten verschiedene Puzzlestücke zusammenschießen, die man bereits als überflüssige Rest-Teile abgelegt hat und ein farbenprächtiges, arabeskes Bild formen, das Jahre existierende, vielgestaltige Zweifel endgültig zerstreut, aber genau so viele neue Fragen aufwirft. Stellen sie sich vor, Ihr Gehirn, sowieso schon ein Patchwork aus hunderten, ihre eigenen Gedanken überlagernden und permanent ein irres Grundrauschen erzeugenden Erinnerungs- und Emotionsfragmenten all derer, die ihre Opfer waren, würde mit einem anderen Gehirn dieser Art in einen Mixer geworfen und innerhalb des Bruchteils einer Sekunde würden die Beiden in winzige Teile gehäckselt, die sich miteinander vermischen. Aber selbst das beschreibt es nur im Ansatz.
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Dieses Dankeschön geht an diejenigen von euch, die hiergeblieben sind und dieses Blog trotz seiner in der letzten Zeit sehr unregelmäßigen Füllung mit Inhalten weiterhin besucht haben. Ich habe gestern mein Studium der Literaturwissenschaft (Nebenfächer: Linguistik und Soziologie) auf Magister nach langem Kampf (wissenschaftliches Arbeiten, kreative Gedanken und der eigentliche Drang, selbst literarisch tätig zu sein, sind nicht immer leicht in Einklang zu bringen) erfolgreich abgeschlossen und verschwinde nie wieder derart lange in der Versenkung, es sei denn, der Tod rafft mich dahin. Versprochen. Jetzt wird Kunst gemacht :).
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Es regnete ein paar Wochen später tatsächlich Hufeisen. Ich war leider gerade draußen.
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Vor knapp zehn Jahren habe ich das erste und einzige Mal in meinem Leben jemanden verlassen. Ich bin einfach gegangen, ich zog die Tür Ihrer Wohnung hinter mir zu, in dem Wissen, dass ich Sie vermutlich nie wiedersehen würde. Im dem Moment, in dem ich es tat, schien es wie etwas teuflisch Grausames aber unfassbar Verlockendes zugleich: Einfach ausbrechen, weglaufen, mich nicht mehr melden, frei sein. Ich habe bis heute ein schlechtes Gewissen, wenn ich daran denke. Jenes schlechte Gewissen wurde vor ein paar Jahren so groß, dass ich anfing, random Menschen mit demselben seltenen Nachnamen aus dem Telefonbuch in ganz Deutschland anzurufen, um die Frau, um die es ging, wiederzufinden. Ich habe sie nicht gefunden, aber ich google bis heute manchmal ihren Namen, um hoffentlich irgendwann herauszufinden, was mit ihr passiert ist, obwohl wir kaum drei Monate zusammen hatten. Ich weiß nicht, warum ich zu so etwas banalem wie Menschen einfach zurücklassen nicht in der Lage bin. Zu etwas, das andere Menschen jeden Tag hundertausendfach tun. Ich kann niemanden allein lassen, der mir einmal wichtig war. Ich bin der festen Überzeugung, dass ich immer nur dann eine Beziehung (und damit meine ich nicht nur Liebesbeziehungen) mit jemandem eingehe, wenn ich mir sicher bin, dass es für die Ewigkeit sein könnte. Und dass in einer Beziehung, die ich so einschätze, jedes wieauchimmer geartete Problem ein lösbares Problem ist, wenn man einfach nur darüber redet und keinerlei Scheu davor hat, dem anderen zu erklären, was eigentlich eben dieses verdammte Problem ist.
Leider bin ich oft mit dieser eigentlich grundeinfachen Einsicht, dass man Menschen, die man einmal nah an sich gelassen hat, nicht einfach wieder wegstößt, bis heute ziemlich allein. Daraus erwuchsen im Laufe der Jahre Stilblüten meiner Existenz, auf die ich gerne verzichten würde, wie eben das Googlen dieses einen Namens oder die Existenz jener teuflischen Dame, der ich ab und zu, aber dennoch auf regelmäßiger Basis mitteile, wie es mir geht, ohne jemals eine Antwort zu erhalten. Allerdings kann ich dennoch nicht nicht wirklich behaupten, dass mich diese Merkwürdigkeiten in irgendeiner Form in meinem Dasein einschränken würden. Im Gegenteil: Eigentlich mag ich meine Leichen im Keller, ich füttere sie oft und bilde mir, während ich das tue, ein, mit dieser Art von Verhalten besser zu sein als viele andere Menschen.
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